Lesen: "Stiche" von David Small

David Small ist heute 72 Jahre alt und in den USA ein bekannter Illustrator und Zeichner von eigenartig schönen Märchen- und Bilderbüchern. Mit "Stitches",seiner ersten Graphic Novel,  "...die aussieht wie ein Film und sich liest wie ein Gedicht" (Jules Feiffer), greift er in eine ganz andere Kiste. Erschienen ist das 322 Seiten starke Werk 2009.  Ich habe es mir in der deutschen Fassung zugelegt und es hat mich echt vom Hocker gehauen.
David Small zeichnet seine nach aussen wohlbehütete, nach innen gruselige Kindheit, und zwar von 6 bis zum jungen Erwachsenen. Das Ganze spielt im Amerika der 50er Jahre, sein Vater ist ein angesehener Radiologe, die Mutter verbittert und wütend schweigend, die Stimmung im Hause äusserst angespannt,erstarrt und lieblos. Es wird zum Beispiel am Esstisch nicht gesprochen, nur nonverbal über Körpersprache, Hüsteln, Bewegungen, aggressives Geschirrklappern kommuniziert. Gefühle werden über einsames Schlagzeug-oder Punshingball-Dreschen geäussert. Mit den Kindern beschäftigt man sich eher nicht, sie laufen so mit. Die Grossmutter auf dem Lande ist verrückt und gewalttätig. Die tragische Zuspitzung: an David's Hals wächst ein Tumor, der von einer Bekannten entdeckt wird und dann aber jahrelang unbehandelt bleibt, weil keine Zeit ist, sich drum zu kümmern. Und angeblich auch kein Geld. Es ist einfach nicht wichtig und geht unter im wirtschaftlichen Aufschwung der Familie. Dann eines Tages wird operiert und Krebs festgestellt. Das findet David durch eigene Nachforschungen heraus, gesagt hat es ihm niemand. Das Schlimmste: er verliert für viele Jahre seine Stimme. Der Vater bekennt sich schuldig: er hat David als Kind regelmässig mit Röntgenstrahlen gegen seine häufigen Halsinfekte behandelt. Am Ende steht eine Psychotherapie und ein Traum, der so etwas wie Katharsis andeutet.
Ich war nach der Lektüre ganz kaputt von der beklemmenden,düsteren Atmosphäre, die vom äusseren Erfolg unberührte innere Hoffnungslosigkeit,die zeichnerisch so genial getroffen ist. Feder und Tusche, grau und schwarz, kleinste Facetten durch Geschwindigkeit und Strichstärke und Strichart, zart, fliessend, heftig und kritzelnd, intuitiv wie laut und leise und langsam und schnell dargestellt. Nirgends gibt es etwas Forciertes, Gewolltes, das Beeindruckende ist die Schauerlichkeit der Authentizität. Gesichtsausdrücke und Körpersprache, die einem das Blut in den Adern stocken lassen.
"Wir wissen uns in den Händen eines Meisters" (Jules Feiffer)...das kann man wohl sagen!

Hier ein sehr guter Einblick.Die Musik hätte nicht treffender gewählt sein können.

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