omi lie und die poesie des sonntagsbratens.
in den achtziger jahren lebte ich in einem romantischen jahrhundertwende-haus am eichhof. eine riesige wohnung (so kam's mir damals vor), die schon von meinen urgroßeltern angemietet war, zu zeiten, als man ein hausmädchen hatte, für das es unterm dach eine mansarde gab. eine bel étage mit stuck an den decken, dielenböden, terrazzo in der küche, zwei balkonen und rolltoren zwischen den zimmern, sowie "ghosts in the corners". selbstverständlich unrenoviert. türgriffe von 1906. mein schlafzimmer hatte zwei schmale balkontür-flügel nach hinten zum alten baumbestand des eichhofs hinaus. die b76, die jetzt an dieser häuserecke vorbeirauscht, gab es damals noch nicht. es war ruhig.
ich erinnere mich an einen sonntag morgen im sommer, als meine balkontür weit offen stand. ich liebte diesen blick durch das rostige jugendstil-geländer in die dichten baumkronen der angrenzenden parklandschaft. nach einer in meiner stamm-disse "american" durchdancten nacht - ich frag mich heute, wie das ging, um ein uhr nachts angefangen, um sieben uhr morgens nach hause gefahren (zu der zeit komplett alkoholfrei)-und anschliessendem harten schlaf auf dem damals obligatorischen futon erwachte ich nicht von einem wadenkrampf, sondern von einem sanften windhauch, der mir einen unglaublich guten geruch in die nase trieb: rinderbraten mit grünen bohnen, pfeffer und butter. es konnte nichts anderes gewesen sein.
ich kannte den duft von den speisen, die meine omi zu zaubern pflegte. sie war eine absolute ausnahmeköchin. jeder aus meiner familie würde mir heftig nickend zustimmen und sofort drei, vier ihrer mit magischen händen hergestellten gerichte nennen, die ihm besonders wertvoll waren. ich ärgere mich sehr, daß ich mich nicht beizeiten mit ihr hingesetzt habe und all ihre rezepte, kniffe und tricks aufgeschrieben habe. sie hatte das kochen übrigens richtig gelernt, auf einem gut. und so schmeckte das alles auch, so wie ich mir eine gutsküche vorstelle.
das lob: "die sauce (oder was auch immer, aber ich glaube, die saucen standen ganz oben auf der hitliste) schmeckt fast wie die von omi lie" wird in unserer familie nur nach eingehender vorheriger prüfung und wohlüberlegt ausgesprochen, aber wenn es jemandem zuteil wird, errötet derjenige zutiefst und sein lächeln verschwindet für die nächsten 48 stunden nicht mehr.
alles, was omi lie kochte, hatte diese ganz spezielle aura, und wer das einmal erlebt hatte, sprach oft davon und blieb auf der vergeblichen suche danach.
sie konnte mit essen bezaubern und entzweien. mein anderer großvater setzte einst eine sauciere an und trank den inhalt einfach aus. was bei seiner frau eine heftige eifersüchtige verstimmung erzeugte.
es gibt leute mit heilenden händen, und es gibt leute, die dem essen etwas zufügen durch ihre berührung, ihre gedanken, ihre konzentration, ihre liebe, und sei es, daß sie eine scheibe toast mit butter (natürlich der guten "grasbutter") bestreichen, die anders schmeckt, als wenn man es selber tut. vielleicht handelt es sich dabei ja um gaben, die früher, als wir in gesellschaften lebten, in denen weise frauen und schamanen ihren festen platz hatten, eine tragende rolle gespielt haben. wer weiss?
ganz bestimmt aber wird omi lie noch manches mal durch meinen blog geistern.
und wie kam ich nun darauf?
manchmal, an ruhigen wochenenden, mache ich einen klassischen sonntagsbraten.
immer muss ich daran denken, an diesen einen warmen sonntagmorgen in der alten familiengründer-wohnung, und an meine so göttlich gekocht habende omi lie und ihr kleines fachwerkhaus in dem riesigen verwunschenen garten in wittland, als es noch grüngürtel kiels und nicht gewerbegebiet hiess. diese lie'sche küche mit dem ganzen improvisierten drumherum auf ihrem verwilderten, wunderschönen grundstück mit der wäscheleine und dem umgekippten apfelbaum gehört zu meinen wertvollsten erfahrungen, zu dem, was das leben wirklich zu bieten hat.
am heutigen sonntag hat der braten nicht nur das terminfreie, verregnete wochenende zum anlass, sondern auch einen großen korb voller kartoffeln, zwiebelchen und schnittbohnen aus mamis garten. die letzten grünen bohnen wohl für dieses jahr. womit kann ich sie angemessener ehren?
Das ist richtig poetisch geschrieben, Gesche!
AntwortenLöschenUnd das ging alles noch ohne Knorr/Maggi-Wundertütchen. Eben echtes Essen.
Letztens las ich noch, dass man nix essen soll, was nicht auch die eigene Uroma als Essen identifiziert hätte.
Das ist so wahr!
@ sudda: ja,das stimmt. es hatte auch mit wertschätzung des essens zu tun und mit der fähigkeit zum genuss.ich bin sehr dankbar, dass ich das mit auf den weg bekommen habe.
AntwortenLöschenHach, wunderschön! Das zaubert mir gleichzeitig ein Lächeln ins Gesicht und ein Tränchen in den Augenwinkel.
AntwortenLöschenUnd ich finde es immer so spannend, zu hören, wie manche Plätze in Kiel früher waren, die ich nur so kenne, wie sie heute sind. Und das das früher oft noch gar nicht so lange her ist.
Das ist eine ganz zauberhafte Liebeserklärung an deine Omi. Und weil ich auch eine solche Omi hatte, bin ich jetzt nicht nur melancholisch, sondern hab auch noch Appetit auf Rinderbraten mit grünen Bohnen. Aber das ist wohl für einen anderen Tag.
AntwortenLöschen@ zimtapfel: oh, ja das kieler westend war eine sehr schöne ecke. als die 76 gertig war, bin ich weit hinaus aufs land gezogen.
AntwortenLöschen@ hans: ich glaub, das hat weniger mit dem alt werden zu tun, sondern einfach mit dingen, die einem lieb und heilig sind und einen geprägt haben. werte sozusagen. man möchte das gefühl von früher wieder beleben, warum auch nicht? vielleicht findet man es im jetzt wieder, und dann vielleicht noch besser.
ich finde es eher schön, sich der dinge zu erinnern. der freunde, der guten essen...."du bist, was du liebst" hab ich mal gelesen.
@ svenja: ja, als omi war omi echt grosse klasse.
und rinderbraten muss ab und zu mal sein-aber sonntags! ;-)
"Sie konnte mit ihrem Essen bezaubern und entzweien." Klasse!
AntwortenLöschen@ nö: :-)) thx.
AntwortenLöschen